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Patientenporträt: Auf das Bauchgefühl hören

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Die Entwicklung einer Suchterkrankung ist ein Prozess, eine Geschichte, die tief im Leben eines betroffenen Menschen verankert ist. Auf dem Weg aus der Sucht wird eine neue Geschichte geschrieben, die von Herausforderungen, aber auch von kleineren und grösseren Erfolgen handelt. Oli* erzählt uns im Gespräch seine Geschichte.
 

Oli ist 54 Jahre alt – ein dynamischer, sportlicher Mann mit einer unverblümten Offenheit. Das Gespräch findet in der Sozialtherapie Saurenhorn statt, einem alten, heimeligen Bauernhaus, idyllisch gelegen an den Hängen des Frienisbergs. Die kleine Oase der Stiftung Terra Vecchia bietet abstinenten und substituierten Männern mit substanzgebundener Suchterkrankung ein Zuhause auf Zeit. Auch Oli lebt hier.

Oli beginnt mit seiner Erzählung am Tag, an dem er seinen Lehrvertrag unterzeichnete. Ein bedeutender Tag für jeden jungen Menschen und in ganz besonderem Masse für Oli, wie sich später zeigen sollte. «Mechaniker», das war Olis Traumberuf. Lehrer und Berufsberater eröffneten ihm aber, dass seine schulischen Leistungen hierzu keinesfalls genügen würden. Und so platzte Olis Traum und er unterzeichnete – entgegen seines Bauchgefühls – einen Lehrvertrag zum Bäcker-Konditor. 

Ab dem ersten Lehrtag hatte Oli «den Anschiss». Bei diesem alleine blieb es nicht. Konflikte mit dem Vater kamen hinzu. «Oli müsse nun beenden, was er angefangen habe.» Oli war verzweifelt, bereute seinen Entscheid und alle Konsequenzen, welche dieser mit sich brachte. Er suchte nach einer Lösung und fand sie. Oli begann zu kiffen und kiffte «wie ein Weltmeister». Seine Sorgen konnte er so vergessen, die Leistungen in der Schule und bei der Arbeit aber nahmen ab. Die Lage spitzte sich zu. Oli schmiss schliesslich – mit dem «Segen» seines Vaters – die Lehre kurz vor Abschluss.

Nach dem Lehrabbruch begann Oli eine neue Lehre – als Mechaniker! Er war überglücklich und seinem Traum zum Greifen nah. Doch das Happy End blieb aus, denn die Vergangenheit hatte bei Oli Spuren hinterlassen. Er steckte mit einem Bein bereits im «Drogensumpf» und rutschte weiter rein. Im zweiten Lehrjahr fing Oli an Heroin zu konsumieren. Heroin schenkte ihm Leichtigkeit und Vergessen von Alltag und Sorgen. Mit 17 Jahren war er das erste Mal «voll drauf» und von da an mit beiden Beinen voll drin.

Sein erster «Rettungsanker», so Oli, war die Rekrutenschule, welche er mit 20 Jahren absolvierte. Trotz Entzugserscheinungen zog er diese durch. Die «Rettung» war aber nur von kurzer Dauer. Nach der Rekrutenschule konsumierte Oli wieder Heroin, später dann auch Kokain. Mit dem Kokain-Konsum ging es bei Oli rasant bergab. Als er kurz davor war, seinen Job zu verlieren, realisierte Oli, dass er professionelle Hilfe benötigte. Mit 25 Jahren machte er seinen ersten Entzug – ohne Erfolg. Weitere Entzüge folgten und schliesslich eine Langzeittherapie.

Danach war Oli 17 Jahre lang «sauber». Es ging ihm gut. Er trieb viel Sport, war als Mechaniker beruflich erfolgreich und führte eine tolle Beziehung. Doch als diese in die Brüche ging, fing auch seine Abstinenz an zu bröckeln. Oli griff wieder zu seiner vermeintlichen Lösungsstrategie und betäubte den Trennungsschmerz mit Heroin und Kokain – bis hin zum Exzess. Nun stand er wieder knietief im «Sumpf». Oli begab sich erneut in Behandlung, mehrere Entzüge folgten. 

Seinen letzten Entzug machte Oli 2021 in der Klinik Selhofen, nachdem ihm gekündigt worden war. Die Klinik Selhofen sei «eine gute Sache», so Oli. Er schätzte besonders die strengen Rahmenbedingungen der Klinik, allen voran die «Nulltoleranz» punkto Konsums unerlaubter Substanzen und das breite Beschäftigungsprogramm, speziell das Sportangebot. Er lernte Freizeitaktivitäten kennen, die ihm Halt geben. Heute gehe er beispielsweise viel joggen, das tue ihm gut. Während des stationären Aufenthalts wurde auch die Langzeittherapie im Saurenhorn organisiert und die ambulante Nachbehandlung im Ambulatorium Selhofen aufgegleist. Zusammen mit seiner Therapeutin konnte er im letzten Jahr einige «Knäuel» lösen. Oli lernte beispielsweise neue Lösungsansätze kennen, seine eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen, zu benennen und danach zu handeln sowie besser auf sein Bauchgefühl zu hören.

Heute ist Oli seit 10 Monaten «clean». Für die Zukunft wünscht er sich, wieder auf eigenen Beinen zu stehen und einen Job im ersten Arbeitsmarkt. Er absolviert derzeit ein Praktikum als Arbeitsagoge. 

* von dem Interviewpartner gewünschtes Pseudonym


Autorin: Andrea Eichmüller, Leiterin Marketing

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